Festakt 18. Mai: Die Verfassung als Fundament unserer Demokratie

Der Landtag Rheinland-Pfalz hat den 76. Geburtstag seiner Verfassung am 18. Mai 2023 mit einem Festakt im Mainzer Deutschhaus, dem Sitz des Landesparlaments, gefeiert. Landtagspräsident Hendrik Hering und Ministerpräsidentin Malu Dreyer hoben in ihren Reden den Wert der Verfassung für Demokratie, Rechtsstaat und das gesellschaftliche Zusammenleben hervor. Festredner in diesem Jahr war Professor Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts.

 

Am 18. Mai 1947 stimmten die Bürgerinnen und Bürger von Rheinland-Pfalz über ihre Verfassung ab und wählten den ersten Landtag. Traditionell begeht der Landtag diesen Tag mit einem Festakt und öffnet anschließend seine Tore für ein buntes Bürgerfest.

Landtagspräsident Hendrik Hering betonte in seiner Rede, dass die Landesverfassung „Herz und Rückgrat unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats“ sei. Die Landesverfassung sei aus der unmittelbaren Erfahrung von Diktatur und Terror entstanden und ebenso aus dem Wissen der schwierigen Demokratieanläufe unserer Vorfahren. Nur wenn man diesen geschichtlichen Hintergrund kenne, könne man auch ihren tieferen Sinn verstehen sowie „die Richtung, die sie weist, die ordnende Struktur, die sie bietet, und die Hoffnung auf eine Zukunft in Frieden und Freiheit, die aus ihr spricht.“ Hendrik Hering verwies auch auf die Geschichte der deutschen Demokratiebewegung sowie deren Vorkämpferinnen und Vorkämpfer, von denen einige aus Rheinland-Pfalz stammten. Menschen, die oft genug bereit gewesen seien, für ihre demokratischen Ideale mit ihrem Leben zu bezahlen. Es werde viel Geld in die Hand genommen, um historische Bauten des Absolutismus zu erhalten und zu präsentieren. „Ich bin überzeugt, dass wir ebenso viel tun müssen, um die Bauten, Orte und Symbole der Demokratie zu erhalten und sichtbar zu machen“, betonte der Landtagspräsident. Dies sei eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft und in das „Demokratieland Rheinland-Pfalz“.

Hendrik Hering forderte, die vielfältigen Stärken der Demokratie breiter zu kommunizieren wie auch „das Viele in unserem Land, das bereits gut gelingt, das uns über viele Jahrzehnte Frieden und Wohlstand gesichert hat und dessen Garant nicht zuletzt unsere Verfassung ist.“ In vielen Ländern sei die Demokratie bedroht aufgrund des Vormarsches von Populismus, durch Einschränkung der Pressefreiheit oder Eingriffe in eine unabhängige Justiz. Es sei keineswegs selbstverständlich und dauerhaft, in einer Demokratie und in Freiheit zu leben. Auch sei der erste Satz unserer Verfassung – „Der Mensch ist frei“ – weltweit leider die Ausnahme und nicht die Regel.

Für Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist der18. Mai ein besonderer Tag der Freude. „Wir feiern heute, dass die rheinland-pfälzische Verfassung unserer Gesellschaft Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ermöglicht und sichert. Zugleich ruft uns dieser Tag in Erinnerung, wie kostbar und wertvoll das ist, was wir seit 76 Jahren leben können“, so die Ministerpräsidentin. Die Demokratie setze auf mitreden, mitbestimmen und mitgestalten. Wahlen seien dabei eine ganz konkrete Möglichkeit und ein Grundrecht, das in der Landesverfassung festgeschrieben sei. „Als Ministerpräsidentin stehe ich mit voller Überzeugung für das Wählen ab 16 Jahren und werde nicht müde, weiter dafür zu kämpfen. Politik entscheidet über Zukunft, und diese Entscheidungen brauchen die Perspektive junger Menschen. Wir brauchen junge Stimmen, um über die Generationen hinweg gutes Leben in Rheinland-Pfalz zukunftsfest zu machen, sei es beim Klimaschutz, bei der Digitalisierung oder bei der Gesundheitsversorgung“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Je komplexer die Welt werde, umso wichtiger sei der genaue Blick auf das Leben der Menschen. „Hier liegt für mich die größte Stärke des Föderalismus. Er ermöglicht es, Politik zu machen, die vom Menschen ausgeht, die Lebensrealitäten kennt, die regionale und lokale Interessen einbezieht. Erst letzte Woche haben wir bei der Ministerpräsidentenkonferenz gemeinsam mit dem Bund nach Lösungen gesucht, wie Deutschland Geflüchtete aufnimmt. An dieser Frage entscheidet sich, wie solidarisch, fair und menschlich unsere Gesellschaft ist“, so die Ministerpräsidentin.

Professor Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.“ unterstrich in seiner Rede vor dem Landtag die besondere Bedeutung des Jahrestages der Verabschiedung der rheinland-pfälzischen Verfassung. Dieser sei ein Fixpunkt in der Erinnerungskultur, der daran erinnere, wie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip in Rheinland-Pfalz nach der NS-Herrschaft neu aus der Taufe gehoben wurde. Dabei hob er außerdem die rheinland-pfälzische Verfassung an sich als „Erinnerungsort“ hervor: einem immateriellen Ort der kollektiven Erinnerung und Identität. Mit Blick auf die Vergangenheit mahnte er, dass das Erinnern an Demokratie und Rechtsstaat „deutlich vor Augen führt, woher wir kommen, dass nichts selbstverständlich ist und wir immer wieder aufgerufen sind, unser Leben selbst neu zu gestalten“. Dabei wies Voßkuhle auf aktuelle Krisen von demokratischen Verfassungsstaaten in Europa und in der Welt hin. Als treibende Kräfte hinter einem ansteigenden Autoritarismus machte er rechtspopulistische Bewegungen aus, die durch Hass geeint seien. Um diesen Entwicklungen zu begegnen, brauche es eine aktive Erinnerungskultur, die Bewusstsein für den Wert und die Wurzeln der Verfassungsordnung schafften. Voßkuhle stellte zudem die Wichtigkeit von positive Beispiele aus der Geschichte heraus, welche sowohl mit Kompromissen als auch mit unbeirrbarem Verhalten zur Demokratie beigetragen haben. Als Beispiel nannte er die Juristin Elisabeth Selbert, die 1948 als eine der wenigen Frauen im Parlamentsrat maßgeblich dazu beigetragen habe, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen im dritten Artikel des Grundgesetzes festzuschreiben. „Das Wissen, dass Veränderung möglich ist, kann und sollte ein Antrieb für eigenes Engagement sein“, sagte Voßkuhle und wies dabei auf niedrigschwellige Möglichkeiten hin, sich mit der Demokratiegeschichte zu befassen. Etwa durch die Auseinandersetzung mit der Geschichte des eigenen Wohnorts anhand von Gedenktafeln, Straßenschildern oder Namensgebungen. „Wenn es uns gelingt, das Bewusstsein für unsere Herkunft und Geschichte innerhalb der Gesellschaft zu stärken, werden die Spielräume für die Feinde des Rechtsstaats und der Demokratie kleiner. Das muss unser Ziel sein! Deshalb sind wir heute zusammengekommen“, betonte Voßkuhle abschließend.